Wie Drogen und Psychosen das Leben meines Sohnes und unsere Familie veränderten 


12.11.2023 

Ab dem 19.11.2023 werde ich mich nicht für eine erneute Amtszeit im Vorstand zur Verfügung stellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich mich der Selbsthilfe oder dem Landesverband komplett entziehe. Vielmehr möchte ich mich etwas zurückziehen, um auch mein restliches Leben genießen zu können. Ich habe die Selbsthilfe fast 22 Jahre lang unterstützt und mich in den letzten 5 Jahren besonders intensiv engagiert. Nun ist es an der Zeit, jüngeren Generationen und Eltern Platz zu machen.
Ich werde weiterhin mit meinen Gedanken zu "ElternsuchtkrankerKinder" auf Facebook und Instagram unterstützen und an einigen Aktionen von FragEltern, sowie als Fachbeirat für die Arwed e.V. ehrenamtlich mitwirken. Zudem plane ich eine Veranstaltung für das Jahr 2024, die sich speziell an stark betroffene Eltern richtet und vom Landesverband unterstützt wird. Mein Fokus wird jedoch verstärkt auf der Basis liegen, also den betroffenen Eltern.
Als ehrenamtliche Trauerbegleiterin habe ich einen Lehrgang absolviert und bin zudem für den Umgang mit sensiblen Themen geschult, wie zum Beispiel in seelischen Krisen. Das hat mir persönlich auch geholfen, meine eigene Geschichte zu verarbeiten.

Im Moment bin ich noch beim Auflösen meiner kleine Wohnung sehr eingespannt, da ich bis Ende Januar endgültig zu meinem Lebensgefährten ziehe und wir in Ruhe und im engsten Familienkreis am 7. Februar heiraten werden.

Nach acht schmerzvollen Jahren in der forensischen Einrichtung, konnte Patty endlich  in eine rund um die Uhr betreute Wohngruppe einziehen. Zunächst auf ein Jahr zur Probe. Meine Hoffnung auf Besserung stieg, als seine Strafe auf Bewährung ausgesetzt wurde, wenn auch unter strengen Auflagen. Doch trotzdem schreitet diese verfluchte, chronische Schizophrenie unaufhörlich voran. Die Möglichkeiten, mit ihm auf normale Weise zu kommunizieren, schwinden von Tag zu Tag. Es zerreißt mein Herz, seine Krankheit zu akzeptieren, denn ich kann ihn einfach nicht mehr erreichen. Aber ich muss mich auch vor ihm schützen, wenn er von einem schrecklichen Schub heimgesucht wird. Dann bricht ein Sturm los, in dem er mich beschimpft und mit seinen Wahnvorstellungen alte Ängste in mir weckt. Es gibt Momente, in denen die Verzweiflung mich überwältigt und eine tiefe Traurigkeit mein Herz erfüllt. Doch im Laufe der Jahre habe ich auch gelernt, wie ich schneller aus diesem dunklen Loch heraustreten kann.
Am 18. November wird er sein 40. Lebensjahr erreichen. Ein Erwachsener, der jedoch niemals in der Lage sein wird, sich selbst zu versorgen. Er ist nach wie vor rund um die Uhr auf die Betreuung und Unterstützung einer Wohngruppe angewiesen. Seine jüngeren Brüder haben längst eigene Familien gegründet, florierende Karrieren geschmiedet und führen ein zufriedenes, ausgeglichenes Leben. Und ich? Ich stehe hier und sehe, wie das Schicksal gnadenlos zuschlägt und uns allen unsere Träume zu rauben scheint. Doch in all der Dunkelheit hoffe ich weiterhin, dass es für ihn einen Ausweg gibt. Ein kleines Licht, das den Schatten vertreibt und seine düstere Welt erhellt.


05.01.2024

Ich mache mir große Sorgen um Patty. Da ich ihn regelmäßig sehe, ist es mir zunächst nicht wirklich aufgefallen. Er wurde mit leichtem Übergewicht aus der Forensik entlassen und hat während seiner Zeit im betreuten Wohnen allmählich abgenommen, sodass er innerhalb weniger Wochen sein Normalgewicht erreicht hat. Es ist bekannt, dass die Behandlung mit Neuroleptika zu massiven Gewichtszunahmen führen kann, jedoch hat er das bisher gut im Griff gehabt. Irgendwann hat er jedoch wieder angefangen zu rauchen, wodurch ich den Gewichtsverlust zunächst auf den Nikotinkonsum zurückgeführt habe. Leider kam es dann zu starkem Gewichtsverlust. Er ist mittlerweile sehr dünn, obwohl die Drogentests immer negativ ausfallen. In einem Gespräch mit der Bezugspflegerin vom betreuten Wohnen habe ich von diesem Zustand berichtet, doch diese hatte es noch nicht einmal bemerkt. Daraufhin berichtete mir Patty, dass er 35 kg abgenommen hat. Nach einem erneuten Gespräch mit der Bezugspflegerin erklärte diese, dass sein Gewichtsverlust auf den Nikotinkonsum zurückzuführen sei. Aufgrund unserer Familienanamnese, insbesondere dem frühen Tod meines Mannes und der Tatsache, dass keines seiner Geschwister älter als 53 Jahre geworden ist, habe ich darauf hingewiesen und vorgeschlagen, Patty von einem Allgemeinmediziner untersuchen zu lassen. Leider ist Patty momentan nicht vernunftsbegabt genug, um diesem Vorschlag nachzukommen. Ich habe ebenfalls von einem Stocken seiner Psychose berichtet, wodurch kaum noch vernünftige Gespräche mit ihm möglich sind. Daraufhin hat die Bezugspflegerin gefragt, ob ich überhaupt wisse, wie krank mein Sohn sei. Ich lebe bereits seit ca. 24 Jahren mit Pattys Krankheit, habe mich durch zahlreiche Seminare, Veranstaltungen und Fortbildungen intensiv mit dem Krankheitsbild auseinandergesetzt. Zudem kenne ich meinen Sohn seit seiner Geburt und habe seine Entwicklung hautnah miterlebt. Das alles lässt mich manchmal zweifeln, ob wir Eltern lediglich als hysterische, unwissende und unangenehme Angehörige wahrgenommen werden. Gestern habe ich mit einer anderen Betreuerin aus dem betreuten Wohnen gesprochen, die meine Bedenken bestätigt hat. Ihr ist aufgefallen, dass Patty immer dünner wird, und sie wird die notwendigen Schritte einleiten.

Ich hoffe diesmal wird gehandelt!!!


04.04.2024

Hochzeit

Andreas und ich haben am 7. Februar geheiratet. Wir haben sogar meinen Brautstrauß zu Armin gebracht. Jetzt habe ich einen “Mann im Himmel” und einen Mann auf Erden, der noch dazu zwei Söhne hat, die mit uns im Haus leben. Seine Tochter wohnt nicht weit entfernt mit ihrem Freund, was bedeutet, dass wir jetzt eine große Patchworkfamilie sind. Insgesamt haben wir 6 Kinder und 6 Enkelkinder, sowie unsere vier Katzen, die sich langsam aneinander gewöhnen müssen. Es ist zwar immer noch ziemlich chaotisch, aber irgendwie auch schön, dass wir alle zusammen sind. 

Leider hat sich bei meinem erkrankten Sohn bisher keine Besserung eingestellt, aber zum Glück ist sein Zustand auch nicht schlechter geworden. Das gibt mir zumindest ein wenig Hoffnung.


20.06.2024

Mir fällt es zur Zeit schwer zu schreiben. Ich musste vor wenigen Wochen wegen einer schweren Hautinfektion stationär in die Uniklink und bin deswegen immer noch in teilstationärer Behandlung. Da überwiegend meine Hände davon betroffen sind, fällt mir das alltägliche Tun schwer, zumal ich meist auch Handschuhe tragen muss.

Zum Status Quo: Bei Patty ist alles unverändert. Leider können wir im Moment nur telefonieren. 

Nochmals habe ich mit einem seiner Bezugspflegern gesprochen, um abermals auf seinen Zustand aufmerksam zu machen. Mehr kann ich im Moment auch nicht tun.

Ich hoffe das meine Behandlung bald Erfolg zeigt, sodass ich wieder mehr Zeit und Kraft habe zu agieren.


19.11.2024

Pattys Geburtstag

Gestern war ein Tag, der mir lange im Herzen bleiben wird: Pattys Geburtstag. Mein Mann Andreas und ich haben ihn in seiner Einrichtung für betreutes Wohnen besucht. Große Familienfeiern schafft Patty schon lange nicht mehr. Sein wirres Denken und die vielen Eindrücke überfordern ihn einfach zu sehr, sodass er sie meidet. Das akzeptiere ich, auch wenn es mir manchmal weh tut.
Seit Jahren hat Patty sich eine ganz bestimmte Jeans gewünscht. Eine Hose, die er früher liebte, als er voller Lebenslust und Energie war. Doch die Krankheit hat ihn in der Pubertät gefangen gehalten – in seinen Gedanken, Vorlieben und auch in seinem Auftreten. Immer wieder haben wir versucht, diese eine Hose zu finden, doch es gelang uns nicht. Irgendwann hörte Patty auf, davon zu sprechen, als hätte er seinen Wunsch längst aufgegeben.
In diesem Jahr wollte ich es unbedingt schaffen, ihn damit zu überraschen. Ich habe viele Geschäfte durchstöbert, analog und online, und dann – endlich – habe ich sie gefunden: genau diese Hose, nach der wir so lange gesucht haben.

Gestern war der große Moment. Neben den anderen Geschenken packte Patty die Jeans aus. Als er sie sah, strahlte er über das ganze Gesicht. Ich konnte fühlen, wie glücklich er in diesem Moment war. Es war, als hätte ich ihm ein Stück von sich selbst zurückgegeben.
Sofort zog er sie an, zusammen mit einem neuen Pullover, und schaute mich an. „Mama“, sagte er, „jetzt fühle ich mich wieder wie der Alte.“
Ich musste lachen, denn genau diese Hose hatte er zuletzt mit 17 Jahren getragen. Aber als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, was er meinte. Mit „wie früher“ meinte er die Zeit vor seinen Psychosen. Die Zeit, bevor die Krankheit unser aller Leben auf den Kopf gestellt hat.
Patty war glücklich, und das hat auch mich tief berührt. Seine Gefühle waren so echt, so unbeschwert, dass ich mich selbst in seiner Freude wiedergefunden habe. Es war ein Gefühl, das ich so lange nicht mehr bei ihm gespürt habe. Ich liebe mein großes, schon erwachsenes Kind so sehr – mit all seinen Kämpfen, Eigenheiten und seinem einzigartigen Wesen. Zu sehen, wie er sich wieder wie „der Alte“ fühlte, hat auch mich glücklich gemacht.
Wir haben den Tag gemeinsam ausklingen lassen. Nach einem schönen Essen sind wir noch zum Friedhof gefahren, um eine Kerze für Armin anzuzünden. Patty wollte, dass mein verstorbener  Mann, sein Vater ein Teil seines Geburtstags bleibt – auch wenn er nicht mehr bei uns ist.
Es war kein perfekter Tag im klassischen Sinne, aber für mich war er perfekt. Ich habe meinen Sohn lächeln gesehen, und das von Herzen. Ich habe einen Moment mit ihm geteilt, der uns beiden so viel gegeben hat. Es sind genau solche Tage, die zeigen, wie wertvoll die kleinen Augenblicke im Leben sein können.


09.12.2024

Von Hoffnung auf Heilung zu Stillstand – eine enttäuschende Erfahrung
Als mein Sohn Patty nach Jahren in der Forensik entlassen wurde, war ich vorsichtig optimistisch. Mit der Diagnose "chronische Schizophrenie" wusste ich, dass der Weg herausfordernd bleiben würde, aber ich hoffte auf eine Basis, auf der wir gemeinsam aufbauen könnten. Doch gerade die letzten Monate seines Aufenthalts auf der Entlassungsstation, die eigentlich auf den Übergang ins betreute Wohnen vorbereiten sollte, waren geprägt von Stillstand und Frustration – für ihn und auch für mich als Mutter.
Statt gezielter Therapien oder einer behutsamen Begleitung zurück ins Leben herrschte auf der Station eine fast lähmende Routine. Medikamentenvergabe stand im Vordergrund, während andere wichtige Aspekte der Rehabilitation völlig vernachlässigt wurden. Der Aufenthalt zog sich unnötig in die Länge, sodass mein Sohn regelrecht unter Hospitalismus litt und er hatte Schwierigkeiten, sich in der heutigen Welt – besonders mit Medien oder Alltagstechnologien – überhaupt noch zurechtzufinden.
Was mich als Mutter besonders getroffen hat, war die fehlende Kommunikation mit uns Angehörigen. Es gab keine wirklichen Gespräche oder Einbindung, obwohl ich als langjährige Bezugsperson sicherlich hilfreiche Hinweise hätte geben können. Stattdessen fühlte ich mich oft ignoriert und allein gelassen, was nicht nur schmerzte, sondern auch meinem Sohn Chancen nahm, besser auf die Entlassung vorbereitet zu werden.
Nun ist er im betreuten Wohnen und kämpft sich Schritt für Schritt zurück in ein Leben mit mehr Eigenständigkeit. Doch es bleibt das Gefühl, dass dieser Übergang hätte, anders, hätte besser gestaltet werden können – mit mehr Empathie, mehr gezielter Förderung und vor allem mehr Engagement für das Wohlergehen der Patient*innen.


Verwahrt, aber nicht betreut – wenn Unterstützung nur auf dem Papier existiert
Nach Pattys Entlassung aus der Forensik war die nächste Etappe seines Lebensweges das betreute Wohnen. Ein Ort, der Sicherheit und Struktur bieten sollte – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Zusätzlich stehen ihm eine Bewährungshelferin, ein Betreuer, eine Bezugsbetreuerin, regelmäßige überwachte Medikamenteneinnahme und Depotspritzen in der forensischen Ambulanz zur Verfügung. Auf dem Papier sieht das nach einem stabilen Netzwerk aus. Doch die Realität ist ernüchternd.
Statt aktiver Betreuung erlebe ich, wie mein Sohn sich oft selbst überlassen bleibt. Es fühlt sich an, als würde er nicht wirklich unterstützt, sondern lediglich verwahrt. Meine Versuche, mich als Mutter einzubringen, wurden von Anfang an mit Skepsis betrachtet, und ich wurde häufig außen vorgelassen – unter dem Deckmantel des Schutzes seiner Persönlichkeitsrechte. Natürlich respektiere ich diese Grenzen, aber es schmerzt zu sehen, wie wenig echte Begleitung er erhält.
Ein Beispiel zeigt deutlich, wie fragil dieses System ist: Patty entwickelte eines Tages wieder Reiselust, setzte sich in einen Zug und verschwand für mehrere Tage – 400 Kilometer entfernt von der Einrichtung. Ich erfuhr es von ihm selbst und meldete es sofort der Betreuungseinrichtung. Es wurde vereinbart, dass wir uns gegenseitig auf dem Laufenden halten, da Patty regelmäßig Kontakt halten muss, um seine Bewährungsauflagen zu erfüllen. Doch während ich meinen Teil einhielt und informierte, kam von der Einrichtung lediglich eine einzige Rückmeldung.
Dieses Beispiel macht deutlich, wie wenig Koordination und Engagement manchmal in einem System vorhanden sind, das eigentlich dafür sorgen sollte, Menschen wie Patty eine Perspektive zu geben. Als Mutter stehe ich oft zwischen den Stühlen: einerseits will ich helfen, andererseits werde ich auf Distanz gehalten.
Es ist frustrierend und macht mich traurig, denn ich sehe, wie Patty Unterstützung bräuchte, um seine Fortschritte zu sichern und weiter ein eigenständiges Leben aufzubauen. Stattdessen scheint es, als würde er auf sich allein gestellt bleiben, trotz der vielen Fachpersonen, die offiziell für ihn da sein sollten.
Ich frage mich: Wo bleibt die echte Verantwortung? Wo bleibt der Wille, Menschen wirklich aufzufangen und zu begleiten, statt sie nur zu verwahren?


Wenn Warnsignale übersehen werden – die Herausforderung des betreuten Wohnens
Der erste Konflikt mit der Einrichtung, in der Patty lebt, kam, als ich bemerkte, dass er innerhalb eines Jahres über 30 Kilo abgenommen hatte. Er sah krank und geschwächt aus, doch als ich darauf aufmerksam machte, wurde mir versichert, dass regelmäßiges Wiegen Teil der Betreuung sei. Erst als ich immer wieder insistierte, schauten sie in die Akten – und siehe da: Patty war seit seiner Aufnahme nur ein einziges Mal gewogen worden.
Doch das war nicht das einzige Warnsignal, das Übersehen wurde. Patty wurde zunehmend psychotischer, ein Zustand, den ich mehrfach ansprach – sowohl beim Betreuer als auch beim Bezugspersonal. Die Antwort? "Das ist nun mal seine Krankheit." Kein Ansatz, keine Überprüfung, keine Veränderung. Lediglich der Betreuer äußerte schließlich den Verdacht, dass möglicherweise seine Medikamenteneinstellung überprüft werden müsse.
Es macht mich traurig und wütend zugleich, wie wenig auf Pattys Zustand geachtet wird. Er ist kein „Fall“ auf einer Liste, sondern ein Mensch, der Unterstützung braucht. Wie kann es sein, dass solche deutlichen Veränderungen – körperlich wie psychisch – im Betreuungssystem einfach übersehen werden?
Ich habe das Gefühl, dass mein Einsatz als Mutter oft mehr bewirkt als das gesamte Netzwerk, das eigentlich dafür da sein sollte, Patty zu unterstützen. Und das ist nicht nur frustrierend, sondern beängstigend. Es zeigt, wie schnell Menschen, die ohnehin schon zu den Schwächsten gehören, durch das Raster fallen können.


Wenn das Hilfesystem versagt – zwischen Wut und Ohnmacht
Es ist das dritte Mal, dass Patty seine Reiselust packt. Zum dritten Mal ist er einfach verschwunden. Beim ersten Mal habe ich die Einrichtung sofort informiert und gehofft, dass daraus gelernt wird. Beim zweiten Mal habe ich mich beim Bezugspersonal beschwert, nachdem sie mich wieder nicht informiert hatten. Man versicherte mir, dass man mich in Zukunft einbeziehen würde. Zumal ich zwar die Mutter bin, aber nicht zu vergessen auch das Opfer, denn immerhin hat Patty mich in einer Situationsverkennung schwer verletzt und deshalb ist ein ja erst in die Forensik gekommen. Und jetzt!!! Jetzt ist er wieder fort. Er hat sein Konto leergeräumt, will nicht zurückkommen, und ich habe die Einrichtung bewusst nicht informiert. Ich stehe in telefonischem Kontakt mit Patty, höre seine psychotischen Gedanken und weiß, dass er in diesem Zustand kaum klare Entscheidungen treffen kann. Aber ich frage mich: Wird sich die Einrichtung überhaupt bei mir melden? Werden sie es überhaupt bemerken?
Ich bin wütend, weil ich mich allein gelassen fühle in einem System, das eigentlich dafür da sein sollte, ihn zu unterstützen. Und gleichzeitig fühle ich mich ausgeliefert – seinen psychotischen Schüben, der Inkompetenz der Einrichtung, den Risiken, die seine Situation mit sich bringt. Was passiert, wenn er gegen die Bewährungsauflagen verstößt? Was, wenn er sich selbst oder anderen in diesem Zustand schadet?
Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Spagat noch aushalte – zwischen Verantwortung und Hilflosigkeit, zwischen Wut und Sorge. Patty ist nicht nur ein Mensch mit einer Krankheit, er ist mein Sohn. Ich möchte ihn schützen, aber ich kann das nicht allein. Und immer wieder stelle ich mir die gleiche Frage: Wie kann ein Betreuungssystem, das so viele Sicherheitsnetze bieten sollte, diese Aufgaben so offensichtlich verfehlen?
Wie oft erleben Angehörige, dass das System, das eigentlich helfen soll, stattdessen zusätzliche Hürden aufbaut? Dass Patient*innen nicht ausreichend auf ein selbst bestimmtes Leben vorbereitet werden und wir als Familie außen vor Bleiben?
Wir Angehörigen sehen oft Dinge, die andere übersehen. Und ich finde, es ist unsere Aufgabe, darüber zu sprechen – für Patty und für all jene, die ebenfalls in solchen Situationen stecken.


16.12.2024
Es ist schwer, wenn das Vertrauen in ein System bröckelt, das eigentlich Schutz und Hilfe bieten soll. Für Eltern und Angehörige bedeutet das, zwischen den Fronten zu stehen – auf der einen Seite die Sorge um das Kind, auf der anderen die Frustration, dass das System, das für Stabilität sorgen sollte, oft nur die Mindestanforderungen erfüllt.
Die Wut kommt nicht nur aus der Enttäuschung, sondern auch aus der Ohnmacht: Man sieht, wie das eigene Kind kämpft – nicht nur mit seiner Krankheit, sondern auch mit einem Umfeld, das seine Bedürfnisse scheinbar nicht wirklich versteht. Als Mutter habe ich immer wieder versucht, gehört zu werden. Doch wenn man auf taube Ohren stößt, fragt man sich irgendwann: Wie soll ich das allein schaffen, wenn diejenigen, die helfen sollen, es nicht tun?
Dabei sind wir Eltern oft die Einzigen, die die Alarmsignale rechtzeitig erkennen – sei es ein bedenklicher Gewichtsverlust, eine Veränderung im Verhalten oder der stille Rückzug. Doch anstatt ernst genommen zu werden, stoßen wir oft auf Bürokratie, Gleichgültigkeit oder schlichtweg Überforderung der Betreuenden.
Natürlich ist das meine Sicht der Dinge, und vielleicht erleben die Betreuer und Pfleger die Situation ganz anders. Ich weiß, dass Patty nicht leicht zu betreuen ist. Er lehnt vieles, was man ihm anbietet, ab und hat oft seine eigenen Vorstellungen. Aber ich weiß auch, dass er unglücklich ist. Und genau das ist das, was am meisten wehtut: zu sehen, dass er in diesem System nicht das findet, was er eigentlich bräuchte, um sich wenigstens ein bisschen wohler oder sicherer zu fühlen.
Ich frage mich: Wie soll mein Kind in diesem System jemals lernen, Vertrauen zu fassen oder Stabilität zu finden? Wie soll es heilen, wenn es sich selbst überlassen bleibt?
Es gibt Tage, an denen die Wut alles überdeckt. Aber darunter liegt eine tiefe, schmerzhafte Trauer. Denn am Ende möchte ich nichts anderes, als dass mein Kind eine Chance bekommt – eine echte Chance auf ein Leben, das nicht nur aus Überleben besteht.