November 2003
Mein Name ist Anja, ich bin 40 Jahre alt und lebe gemeinsam mit meinem Ehemann und unseren drei Söhnen in einer geräumigen Mietwohnung. Armin und ich sind seit zwei Jahrzehnten verheiratet und beide berufstätig. Die Zeit mit unseren Kindern war und ist uns stets von höchster Bedeutung. Unsere Familie verkörpert das Bild einer durchschnittlichen deutschen Familie.
Dachte ich zumindest... bis zu dem Tag, an dem ich bei meinem damals erst 13-jährigen Sohn Drogen fand. Diese schockierende Entdeckung markierte den Beginn einer langen Odyssee durch seine Drogensucht und späteren schweren Schizophrenie, vermutlich ausgelöst durch den Drogenkonsum. Diese Herausforderungen haben nicht nur ihn, sondern unser gesamtes Leben verändert. Das Einrichten und Aktualisieren dieser Homepage war für mich der erste Schritt zur Selbsthilfe.
Wichtig: Ich berichte hier ausschließlich aus meiner eigenen Perspektive. Das Teilen meiner Erfahrungen dient mir als persönliche Bewältigungsstrategie.
Als Mutter war ich hilflos angesichts der Situation und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. So entschloss ich mich, eine Art Tagebuch zu führen, das auch anderen betroffenen Eltern zugänglich sein sollte. Aus diesem Impuls heraus entstand diese Homepage.
Der Name "Bittere Tränen" für den Link fiel mir nicht schwer zu wählen, da ich während meiner Zeit als Co-Abhängige unzählige Tränen vergossen habe.
Die schulische Aufklärung meiner Kinder über die Gefahren von Drogen war oberflächlich. In unserer "normalen" Familie hielt ich Sucht für kein relevantes Thema. Die Veränderungen meines damals 13-jährigen Sohnes schob ich anfangs auf die beginnende Pubertät. Doch als ich Drogen bei ihm fand, brach für mich eine Welt zusammen. Niemals hätte ich gedacht, dass dies der Beginn einer langanhaltenden Odyssee in die Drogensucht sein würde. Ein Kampf gegen die Sucht meines Sohnes begann, zunächst nur von meiner Seite aus.
Während der vielen Jahre seiner Suchtkrankheit und später diagnostizierten Schizophrenie habe ich festgestellt, dass mir das Schreiben sehr geholfen hat. Deshalb habe ich meine Geschichte im World Wide Web geteilt.
Meine Geschichte
Durch den jahrelangen Drogenkonsum meines Sohnes habe auch ich eine Depression entwickelt, die derzeit behandelt wird. Es dauerte lange, bis ich mir selbst Hilfe suchte, da ich es für wichtiger hielt, meinem Kind zu helfen. Mit der Zeit fühlte ich mich jedoch zunehmend ausgelaugt. Neben den Drogen gab es auch den Alltag, der bewältigt werden musste. Ich merkte, wie ich mich immer einsamer fühlte und nur noch damit beschäftigt war, aus dieser belastenden Situation herauszufinden, ohne dass mein Umfeld davon etwas mitbekam. Besonders belastend war die Zeit, als mein Sohn eine Psychose entwickelte. Kaum jemand konnte darüber sprechen, und die Krankheit verlieh meinem Kind eine stigmatisierte Aura. Es war, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Ich wurde traurig, besorgt und depressiv. Doch durfte ich das nicht sein, während ich gleichzeitig mit einem drogen- und psychosekranken Kind zu kämpfen hatte? Durfte ich nicht um die verlorenen Jahre trauern, die mein Kind durch den Drogenkonsum verspielt hatte? Doch, ich durfte! Ich kämpfe weiter um mein Kind, aber ich habe auch gelernt, dass es auch sein eigenes Interesse sein muss, sich helfen zu lassen.
Ich wünsche uns allen die Kraft, die wir brauchen, und hoffe darauf, dass der Alptraum namens "Drogen" für uns irgendwann Vergangenheit wird.
Wir Eltern durchleben eine wahre Hölle. Wir erleben das Thema Sucht wie einen Alptraum, in der Hoffnung, eines Tages aufzuwachen. Wir kämpfen gegen die Behörden für eine bessere Behandlung unserer suchtkranken Kinder und erleben, wie sie sich immer weiter dem Abgrund nähern, ohne dass wir sie aufhalten können. Wir erleben Rückschläge und müssen uns immer wieder mit Ablehnung auseinandersetzen. Doch wir lieben unsere Kinder, auch wenn sie es uns schwer machen. Unsere Hoffnung stirbt zuletzt.
Die Auswirkungen der Drogensucht auf die Geschwister: Eine vernachlässigte Perspektive
Armin und ich haben stets versucht, offen mit unseren beiden jüngeren Jungs über die Thematik der Sucht zu sprechen und ihnen zu vermitteln, dass Sucht eine Krankheit ist. Sie erlebten die Veränderungen bei Patty genauso wie wir. Als Patty zu Ostern mit seiner Psychose ins Krankenhaus kam, hatte dies beispielsweise Auswirkungen auf Cally in der Schule. Zwar konnte er sich wieder fangen, doch bei Sammy wurde das Verhalten in der Schule zunehmend aggressiver. Eines Tages rief die Lehrerin von Sammy an und berichtete, dass er einen Weinkrampf in der Schule hatte und sich ihr gegenüber geöffnet hatte. Wir appellierten stets an die Vernunft unserer beiden Jüngeren und vergaßen dabei, wie sehr wir sie damit überforderten. Wir haben Pattys Sucht und Krankheit so sehr in den Mittelpunkt unseres Lebens gerückt, dass wir nicht bemerkten, wie sehr die "Kleinen" darunter litten. Meine beiden Jungs lieben ihren großen Bruder und gleichzeitig hassen sie die Situation. Natürlich sind auch wir als Eltern mit der Situation überfordert, dennoch wird uns Hilfe angeboten.
Die Leiden der Geschwister in dieser Situation werden oft vernachlässigt. Mir ist nicht bekannt, dass es irgendwo Beratungsstellen oder Websites im Netz gibt, die sich speziell an Geschwister richten.
Selbsthilfe: Der Weg zur Unterstützung und Verständnis
Früher habe ich nicht verstanden, warum mir Hilfe angeboten wurde, obwohl mein Sohn diejenige war, die die Drogen konsumierte. Ich dachte, er sei derjenige, der Hilfe brauchte, nicht ich. Ich habe mich an verschiedene Stellen gewandt - Polizei, Drogenberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, Psychologen, Schulen, Kinderarzt usw. - und förmlich geschrien: "Helft meinem Kind!" Aber überall bekam ich die gleiche Antwort: Mein Sohn wollte nicht kooperieren, und solange das der Fall war, konnte ihm niemand helfen.
Heute verstehe ich, warum mir Hilfe angeboten wurde. Es erfordert enorme Kraft, über Jahre hinweg. Am Anfang war ich noch stark, aber mit jedem Jahr seiner Drogensucht wurde ich nervöser, unruhiger und depressiver. Ich stand oft machtlos da und wollte einfach nicht mehr. Depressionen überkamen mich. Ich entwickelte Hassgefühle gegenüber der Polizei, die, wie ich fand, machtlos gegenüber diesem Problem war. Kleinkriminelle wie Patty wurden schnell erfasst, aber die großen Dealer, die unsere Kinder süchtig machen, blieben unentdeckt. Ich begann, die Realität zu verschleiern, wollte nach außen hin immer die heile Familie repräsentieren. Die Angst vor Stigmatisierung war groß.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich alleine nicht mehr weiterkam. Ich sprach mit meinem Arbeitgeber und einigen Kollegen darüber. Später suchte ich das Gespräch mit den Lehrern meiner beiden jüngeren Söhne. Ich recherchierte im Internet und beschaffte mir viel Informationsmaterial über Drogen. Mittlerweile haben wir ein Erstgespräch mit einer Suchtberatungsstelle für Angehörige geführt und besuchen seit September eine Angehörigengruppe für Suchtkranke. Es wurde mir bewusst, wie sehr wir Hilfe benötigen. Ich suchte mir jemanden, dem ich mich anvertrauen konnte - in meinem Fall eine Kollegin, die mir immer wieder zugehört hat und selbst Erfahrungen in einer ähnlichen Situation gemacht hat. Dabei erfuhr ich mehr Verständnis, als ich erwartet hatte.
Pattys Welt, eine ferne Realität für mich, geprägt von Schizophrenie und Drogen.
Ich möchte von Patty erzählen, von einer Zeit vor den Drogen und der Psychose.
Patty war lebhaft und hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Im Kindergarten fiel sein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) auf, eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität äußert. Dennoch war er sozial sehr kompetent, sowohl gegenüber seinen Brüdern als auch seinen Klassenkameraden. Er war äußerst intelligent. Aufgrund schulischer Schwierigkeiten entschieden wir uns, Patty im vierten Schuljahr an eine E-Schule zu schicken, da die Pädagogen dort besser auf diese Problematik eingehen konnten. Es funktionierte gut, seine Noten verbesserten sich wieder, und er fühlte sich wohl auf dieser Schule. Patty war beliebt bei seinen Freunden und Nachbarn. Er liebte es zu basteln und war ein Naturbursche. Er baute Hütten mit seinen Freunden und schipperte auf selbstgebauten Flößen den Bach entlang. Durch meine Berufstätigkeit übernahm er viele häusliche Aufgaben und kümmerte sich auch um seine kleinen Brüder, besonders um Sammy, der in den ersten Lebensjahren oft krank war und viele Operationen benötigte. Bei Streichen war er stets dabei, und man konnte ihm kaum böse sein. Patty war klein und zierlich für sein Alter, was ihm manchmal zu schaffen machte. Patty und ich hatten immer eine gute Beziehung, und trotz einiger Herausforderungen war ich immer stolz auf meinen Ältesten.
Doch kurz vor seinem 14. Geburtstag veränderte sich mein Sohn. Er begann zu stehlen, zu lügen und in der Schule abzufallen. Anfangs konnte ich mir nicht erklären, was mit meinem Jungen los war. Ich schob es auf pubertäre Probleme, aber heute weiß ich, dass er mit dem Eintritt in die Pubertät auch in den Drogenkonsum gerutscht ist. Es war schwer zu glauben, dass er noch mit Legosteinen spielte und bereits seine ersten Joints rauchte.
Wenn ich zurückdenke, kommt es mir so vor, als wäre es gestern gewesen, als ich beim Wäsche sortieren das Tütchen mit Cannabis fand. Das war bereits Jahre her, und doch ist die Erinnerung so frisch. Mein erster Gedanke war, dass Patty doch erst im nächsten Monat 14 Jahre alt wurde. Als er dann von der Schule nach Hause kam, hatten wir ein langes Gespräch. Er versprach, die Finger davon zu lassen. Ich glaubte ihm und vertraute ihm.
Dann kam im April 1998 das nächste Tütchen. Ich erfuhr, dass er es wohl öfter konsumierte. Es folgten Hausarrest, Schimpfe und Gespräche.
Einen Monat später fand die erste Schulkonferenz statt. Patty verschenkte fertig gedrehte Joints in der Schule. Ein "Freund" hatte sie ihm zugesteckt. Patty durfte auf der Schule bleiben, mit der Auflage, zur Drogenberatung zu gehen.
Die Drogenberatung spielte das Thema herunter. Es handelte sich ja "nur" um Cannabis. Im Juli desselben Jahres fand die nächste Schulkonferenz statt. Wieder durfte er auf der Schule bleiben. Er veränderte sich, seine Leistungen wurden immer schwächer. Er wurde gleichgültig, verschlafener, manchmal überdreht. Es gab viel Hausarrest, viel Streit. Mein Mann und ich versuchten es mit Härte, mit Liebe, mit Verständnis. Niemand kann sich in diese Situation hineinversetzen, der das nicht selbst erlebt hat. Er fand neue Freunde, mit denen er täglich kiffte. Den Besuch bei der Drogenberatung gab ich schließlich auf, da er immer wieder Hilfe ablehnte. Damals ahnte ich noch nicht, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits chemische Drogen konsumierte. Ohne Abschluss verließ er dann auch die Schule. Im August 2000 ging er dann ohne Abschluss in die Jugendberufshilfe, um dort sein 10. Pflichtschuljahr zu machen. Wir hatten die Hoffnung, dass er sich hier bessern würde. Der Abstieg hier war jedoch noch schlimmer. Neue Freunde, neue Drogen... wieder kein Abschluss. Er veränderte sich unaufhörlich weiterhin.
Im August 2000 wurde eine Maßnahme des Arbeitsamtes eingeleitet. Es handelte sich um eine Berufsvorbereitung auf einem Internat. Anfangs waren wir voller Hoffnung, dass wir endlich das Richtige für ihn gefunden hatten. Zweimal die Woche arbeiten und dreimal die Woche Schule, um wenigstens den Hauptschulabschluss nachzuholen. Doch es war alles wie gehabt. Neue Freunde, Drogen. Wir mussten ständig zu Elterngesprächen. Mit aller Kraft habe ich darum gebeten, Patty nicht aus dieser Maßnahme herauszunehmen, und hatte dabei immer Erfolg. Ich fühlte mich wie die Anwältin meines Sohnes, lernte zu reden, zu kämpfen und war manchmal erstaunt über meine eigenen Argumentationsfähigkeiten.
Dann kam die Polizei... Sie stand eines Sonntagmorgens vor der Tür und wollte Patty abholen. Anzeige wegen Diebstahls, schwerer Körperverletzung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Bei der Gerichtsverhandlung fühlte es sich an, als säße ich selbst als Angeklagte vor Gericht.
Er wurde zu einer Woche Jugendarrest verurteilt.
Als er aus dem Internat entlassen wurde, natürlich wieder ohne Abschluss, war er erst einmal arbeitslos. Seinen Drogenmissbrauch setzte er in großem Maße fort. Ohne Drogen konnte er schon lange nicht mehr leben. Wir suchten erneut die Drogenberatung auf. Doch wie immer hörten wir dasselbe: Ohne seine Kooperation konnte und wollte man ihm nicht helfen. Langsam kristallisierten sich auch seine Freunde heraus. Manche wandten sich von ihm ab, weil er zu viel Drogen konsumierte, andere blieben bei ihm, weil sie selbst viel konsumierten.
Zwischendurch hatte Patty sogar einen Job, den er jedoch aufgrund der Folgen seines Drogenmissbrauchs nicht lange halten konnte.
Hoffnung
Im Jahr 2002 trat Patty der Bundeswehr bei, bevorzugt aufgrund seiner Arbeitslosigkeit. Er zeigte sich äußerst motiviert und hegte konkrete Zukunftspläne.
Die Vereidigung, in seiner makellosen Uniform der Luftwaffe, erfüllte uns mit Stolz. Patty präsentierte uns voller Freude die Kaserne, sein Zimmer und seinen ordentlichen Spind. Es war offensichtlich, dass er bei seinen Kameraden beliebt war, und wir hegen die Hoffnung, dass er endlich seinen Platz gefunden hatte.
Unwissend über die Ergebnisse der Drogentests, die ihn letztlich als ungeeignet für den Waffendienst erklärten und sein Ausbildungsziel nicht erreichen ließen, fiel sein Dienst auf eher unbedeutende Tätigkeiten. Die damit einhergehende Unzufriedenheit führte dazu, dass er erneut Drogen konsumierte.
Es erstaunt mich, dass trotz der disziplinarischen Maßnahmen und der zahlreichen Arreste seine Dienstzeit bis zum Ende fortgesetzt wurde.
Im März 2003 wurde Patty aus der Bundeswehr entlassen.
"Verlorene Hoffnung: Der Abstieg eines Sohnes in die Dunkelheit der Sucht und Psychose"
Was ich hier beschreibe, wünsche ich keiner Mutter. Es ist zermürbend, sein eigenes Kind dem Abgrund entgegengehen zu sehen, ohne die Möglichkeit zu haben, ihm zu helfen. In dieser Zeit habe ich viele bittere Tränen vergossen.
Am 1. Januar 2003 verbrachte Patty die ganze Nacht weinend in meinen Armen. Unfähig, über seine Erlebnisse zu sprechen, versuchte ich ihn zu trösten, ohne zu wissen, dass dies der erste Schub seiner Psychose war.
Patty war kaum noch zu erreichen, verlor sich in seinem Rausch. Seine Gleichgültigkeit belastete mich zutiefst. Wir drohten, ihn vor die Tür zu setzen, wenn er sich nicht helfen ließe. Doch die Drogen hatten die Oberhand. Wir waren hilflos und unser Familienleben stand auf der Kippe. Patty hatte weder Arbeit noch die Motivation, zur Schule zu gehen... es schien, als wäre alles verloren.
Im April spitzte sich die Situation weiter zu. Er litt unter Verfolgungswahn und sprach vom Sterben. Freunde berichteten uns, dass er sogar auf einem Dach stand und springen wollte. Wir überredeten ihn, in eine Klinik zu gehen, doch auch hier verlief die Behandlung nicht wie erhofft.
Es war eine Zeit voller Verzweiflung und Ohnmacht. Hätte man ihm damals die dringend benötigte Hilfe aufgezwungen, wer weiß, ob er heute nicht geheilt wäre. Doch es sollte noch schlimmer kommen.